Politik für die Oligarchie

„Junge Welt“, 26.07.2007
Soziale Spaltung der US-Gesellschaft wird forciert. Rudimentäre Sozialsysteme gelten offiziell als zu teuer. Steuerpolitik begünstigt Umverteilung nach oben

US-Finanzminister Henry Paulson treibt ein Problem um. Nein, nicht die Dollarschwäche, das riesige Leistungsbilanzdefizit oder die extreme Verschuldung der Privathaushalte machen dem ehemaligen Chef der Investmantbank Goldman Sachs sorgen, sondern die in den USA ohnehin nur rudimentär vorhandenen sozialen Sicherungssysteme. »Die wichtigste ökonomische Herausforderung für unser Land stellt das Wachstum der Ausgaben für die Sozialsysteme dar: für die Krankenversicherung und die Sozialfürsorge.« Die Aufwendungen dafür, so Paulson, hätten inzwischen ein beunruhigendes Niveau von acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA erreicht. Das mache umfassende »Reformen« unabdingbar. Ähnlich äußerte sich Anfang 2007 die konservative Denkfabrik »The Heritage Foundation«, die eine »Reform« als »einzigen Weg« zur Sanierung des US-Haushalts sieht.

Kein Sozialstaat
Diese von den Mainstream-Medien wohlwollend begleitete Verzichtsdebatte steht im Widerspruch zu den makroökonomischen Fakten. So beliefen sich die gesamten Sozialausgaben der USA 2007 auf etwa 18 Prozent des BIP. 1999 waren es noch 21 Prozent. Zum Vergleich: Dänemark wendet nahezu 28 Prozent, Schweden mehr als 30 Prozent seines BIP für soziale Programme auf. Zwischen 1973 und 2005 wuchs die US-Wirtschaft um 160 Prozent, die Produktivität stieg im selben Zeitraum um 80 Prozent. Dennoch werden Forderungen nach Einführung einer einheitlichen staatlichen Krankenversicherung – wie jüngst in Michael Moores Film »Sicko« erneut bekräftigt – von der Regierung und Kongreß mit dem immergleichen Argument der »leeren Kassen« abgewehrt.

Die konservative Propaganda ist für die meisten US-Bürger aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände nachvollziehbar. Haben sie doch trotz scheinbaren Booms in den letzten Jahrzehnten die Erfahrung eines beständigen, schleichenden sozialen Abstiegs gemacht. Einer Analyse der US-Ökonomen Tomas Piketty und Emmanuel Saez zufolge sank das inflationsbereinigte durchschnittliche Einkommen von neun Zehnteln aller US-Bürger zwischen 1973 und 2005 um elf Prozent. Die soziale Spaltung des Landes ist enorm. Das unterste Zehntel in der US-Einkommenspyramide erhält 39 Prozent des Durchschnittslohns, das obere Zehntel aber 210 Prozent (zum Vergleich Dänemark 54 und 155 Prozent). Zusätzlich erhöhte sich die Arbeitsbelastung eines typischen US-amerikanischen Haushalts. Ein verheiratetes Paar arbeitet derzeit im Schnitt jährlich 533 Stunden länger als noch vor einer Generation. Nur das oberste Zehntel der Gesellschaft konnte zwischen 1973 und 2005 reale Einkommenszuwächse verzeichnen. Die Einnahmen der Oligarchie, jener oberen Zehntausend der US-Gesellschaft, die Private Equity, Wall Street, Großkonzerne und Hollywood beherrschen, stiegen inflationsbereinigt im genannten Zeitraum um 250 Prozent.

Diese Fettaugen auf der US-Gesellschaft profitierten nicht zuletzt von einer staatlich gelenkten Umverteilung. Diese wurde unter nahezu allen US-Regierungen seit den späten 70er Jahren – insbesondere aber durch die jetzigen Administration mit Eifer betrieben. Die US-Nichtregierungsorganisation United for a fair Economy (UFE) stellt deshalb der Steuerpolitik ein vernichtendes Zeugnis aus. Demnach nahm der Anteil aller Unternehmenssteuern an den Haushaltseinnahmen seit 1969 um zwei Drittel ab. Inzwischen seien es noch sieben Prozent, die Konzerne zum Staatshaushalt beisteuern. Die Lohnsteuer hingegen ist laut UFE seit 1980 um 25 Prozent gestiegen. In der selben Zeitspanne sanken die Steuern auf Kapitaleinkünfte und Immobilien sowie auf Erbschaften zwischen um 31 bis 79 Prozent.

Geschenk für Reiche

Besonders verheerend wirkten sich laut UFE die von der Bush-Administration zwischen 2002 und 2004 durchgesetzten Steuersenkungen aus. Diese beliefen sich auf ein Volumen von 197 Milliarden US-Dollar. Profitiert daran hätte nahezu ausschließlich Leute, die dem oberste Hundertstel der US-Einkommenspyramide zuzuordnen seien – erst ab einem Jahreseinkommen von 337000 US-Dollar konnte eine Nettosteuerentlastung festgestellt werden. Im selben Zeitraum mußten diverse Haushaltslöcher in der Größenordnung von umgerechnet 200 Milliarden US-Dollar gestopft werden. Die US-Bundesregierung tat dies, indem sie Angestellte entließ, soziale Leistungen strich und Gebühren anhob.

Selbst Alan Greenspan, Exchef der US-Notenbank, warnte bei einem Hearing vor dem US-Kongreß vor der »beständig zunehmenden Konzentration von Einkommen«. Welche Rolle die staatliche Umverteilung dabei spielt, beschrieb US-Milliardär Warren Buffet kurz vor der letzten Steuersenkung gegenüber der Washington Post. Er, Buffet, könne seine Steuerrate auf reelle drei Prozent drücken, während die Frau an der Rezeption seines Konzernsitzes 30 Prozent ihres Gehalts an den Staat abführen müsse. »Lassen sie es mich klarstellen: Ihre Steuerbelastung wäre zehnmal so hoch wie die meinige«, erklärte der laut Forbes-Ranking drittreichste Mann der Welt.

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