Pakt mit der Armee

„Junge Welt“, 08.12.2012
Ägypten: Mursis Deal mit dem Militär führt zu einem islamischen Kasernenkapitalismus. Die Zugeständnisse sollen auch im Westen die Akzeptanz für das neue Regime erhöhen

Es gibt eine einflußreiche Kraft im krisengeschüttelten Ägypten, die Präsident Mohammed Mursi und die Muslimbruderschaft im gegenwärtigen Machtkampf kaum zu fürchten haben – das Militär. Ein Putsch der Generäle, die noch unter Mursis Vorgänger Hosni Mubarak zur Bekämpfung des politischen Islam angehalten wurden, ist selbst bei einer weiteren Eskalation der gegenwärtigen Auseinandersetzungen unwahrscheinlich. Bezeichnend für das Arrangement zwischen den Streitkräften und den neuen Machthabern am Nil ist etwa der Umstand, daß die Militärabordnung in der von den Islamisten dominierten verfassunggebenden Versammlung weiterhin vertreten ist, obwohl nahezu alle sonstigen gesellschaftlichen Gruppen und Parteien ihre Vertreter aus Protest zurückgezogen haben.

Der Deal, den die Armee mit den Islamisten in der verfassunggebenden Versammlung abschließen konnte, ist für diese tatsächlich äußerst vorteilhaft. Obwohl sie in der Bevölkerung im Gefolge der Herrschaft des Obersten Militärrats viel vom früheren Ansehen verloren haben, konnten die Streitkräfte im Rahmen der Verhandlungen einen Großteil ihrer politischen und ökonomischen Privilegien sichern. »Das Militär erhält etwas in der Verfassung und hat so einen Anreiz, mit der Muslimbruderschaft zusammenzuarbeiten«, erklärte Eric Trager von US-Thinktank Institute for Near East Policy gegenüber USA Today. Für besondere Empörung innerhalb der Opposition sorgen Verfassungsbestimmungen, die es auch künftig dem Militär erlauben würden, Zivilisten vor Militärtribunalen wegen »Verbrechen gegen die Armee« abzuurteilen.

In dem von den Islamisten ohne Beteiligung anderer gesellschaftlicher Gruppen eiligst durchgepeitschten Verfassungsentwurf sei »der Kern der konstitutionellen Prioritäten des Militärs« berücksichtigt worden, bemerkte auch das US-Blatt Time. Dieser enthalte eine »weitgehende Autonomie« gegenüber den gewählten zivilen Regierungen insbesondere bei der Ausgestaltung des Militärhaushalts, der weiterhin keiner parlamentarischen Kontrolle unterworfen sein soll. Zudem solle der Militärführung eine »signifikante Rolle« bei der Ausgestaltung der »Nationalen Sicherheit« zukommen, konstatierten Experten gegenüber Time. Das Militär werde somit weiterhin ein Staat im Staate bleiben, der laut USA Today die Kontrolle über das »Budget und die Außenpolitik« immer noch haben werde. Dies würde die Militärs in die Lage versetzen, »weiterhin Frieden mit Israel zu wahren und die Milliarden an US-Hilfe zu behalten«, erklärte Trager. Diese Zugeständnisse Mursis sind auch an den Westen und vor allem die USA gerichtet, um so die Akzeptanz einer Herrschaft der Muslimbrüder zu erhöhen.

Für die Streitkräfte Ägyptens tatsächlich die Beibehaltung ihrer finanziellen Autonomie bei dem Arrange­ment mit der Muslimbruderschaft entscheidend, ist doch die Armee der wichtigste ökonomische Akteur Ägyptens, der Schätzungen zufolge bis zu 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erbringt. Die Streitkräfte, die über ein weitverzweigtes Firmenkonglomerat gebieten, haben sich letztendlich zu einem auf militärisch-zivile Produktion spezialisierten Konzern gewandelt, der Hunderttausende von Arbeitern beschäftigt und Milliarden Euro jährlich umsetzt. Somit bildet die ägyptische Generalskaste zugleich eine Schicht von Industriemanagern, die Hunderte Fabriken, Dienstleistungsbetriebe und sogar Hotels kontrollieren. Solange die Muslimbrüder die Privilegien dieser »Militärbourgeoisie« unangetastet lassen und die Stabilität des Landes nicht fundamental bedroht ist, werden die Generäle stillhalten – und im Krisenfall eher die auf Stabilität bedachte Muslimbruderschaft stützen als die verzweifelt gegen die autoritäre Wende kämpfende Opposition.

Zudem hat es Mursi geschickt verstanden, einen Teil der unter Mubarak aufgestiegenen Militärelite kaltzustellen. Hierzu nutzte der Präsident einen Überfall islamistischer Extremisten auf die Streitkräfte im Sinai vergangenen August, dem 16 Armeeangehörige zum Opfer fielen. Mursi ließ als Reaktion auf diesen Terrorakt rund 70 hohe Offiziere in den Ruhestand versetzen und die wichtigsten Generäle auswechseln. Inzwischen sollen auch verstärkt Rekruten mit islamistischem Hintergrund in die Streitkräfte einsickern. Eine »große Gruppe islamistischer Studenten« sei in die ägyptische Militärakademie aufgenommen worden, berichtete der Sender Al-Arabiya Ende November.

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