Polen bleibt standhaft

„Junge Welt“, 18.06.2007
Trotz Drohungen lehnt Warschau EU-Verfassung weiter ab. Neue Töne aus Washington sorgen für Unruhe an der Weichsel

Am Samstag abend kamen der polnische Präsident Lech Ka­czynski und Kanzlerin Angela Merkel zu Gesprächen im Gästehaus der Bundesregierung in Merseburg zusammen, um die Möglichkeiten einer Einigung im Streit um die Wiederbelebung der europäischen Verfassung auszuloten. Das Treffen sei in einer »guten Atmosphäre« verlaufen, so die Einschätzung der deutschen Seite. Die polnischen Medien waren weniger zurückhaltend. Laut der Tageszeitung Rzeczpospolita fand keine inhaltliche Annäherung zwischen Merkel und Ka­czynski statt, beide Streitparteien beharrten auf ihren Standpunkten. Polen will eine Wiederaufnahme des europäischen Verfassungsprozesses mit einem Veto blockieren, falls es bei dem geplanten Abstimmungsmodus der »Doppelten Mehrheit« im Machtzentrum der EU – dem Ministerrat – keine substanziellen Änderungen geben sollte.

Immerhin betonte Präsident Kaczynski, daß es diesmal bei den Verhandlungen »keine Drohungen und Erpressungsversuche« seitens Deutschlands gegeben habe. In den vergangenen Tagen hatten deutsche und europäische Politiker mit düsteren, an Warschau gerichteten Ankündigungen nicht gespart. Mit »ernsten Konsequenzen« und »sehr negativen Folgen« drohten der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hält die polnische Regierung sogar für »völlig isoliert«, wie er am Sonntag erklärte.

Eine Reihe hochrangiger europäischer Politiker – zuletzt Spaniens Premier Zapatero und Frankreichs Präsident Sarkozy – reisten auf Betreiben Deutschlands nach Warschau, um die polnische Führung zum Einlenken zu bewegen. Kanzlerin Merkel fordere jeden europäische Führer, den sie trifft, auf, »nach Warschau zu gehen«, wie die Newssite german-foreign-policy.com kürzlich berichtete.

Bislang hielt Warschau diesem Druck stand, da innerhalb polnischer Regierungszirkel ein gewisser Konsens darüber herrscht, die von Berlin forcierte »europäische Integration« als einen Versuch Deutschlands wahrzunehmen, eine hegemoniale Position innerhalb Europas zu erringen. Polen konnte sich überdies der – teilweise inoffiziellen – Unterstützung Tschechiens, Großbritanniens und vor allem der USA sicher sein.

Doch nun sorgte ein von Zbigniew Brzezinski, dem einflußreichen amerikanischen Geostrategen und ehemaligen Sicherheitsberater von Präsident James Carter, gehaltener Vortrag für helle Aufregung in Warschau. In einer Rede vor dem »Polnischen Wissenschaftsinstitut in Amerika« warnte Brzezinski die polnische Führung davor, sich zu sehr innerhalb der EU zu isolieren, da die »Qualität der Beziehungen zu Amerika eine Funktion der Stellung Polens innerhalb der EU« sei. Polen solle laut Brzezinski die engen Beziehungen zu den USA aufrecht erhalten, doch zugleich »seine Bindungen innerhalb der EU intensivieren« und sich um eine Verständigung mit Deutschland bemühen. Zumindest Brzezinski scheint nun Europa nicht mehr als einen Konkurrenten, sondern einen Juniorpartner wahrzunehmen. Für Polen hieße dies, sich entweder in das »deutsche Europa« – wie die EU von der polnischen Rechten tituliert wird – einzufügen oder weitgehend isoliert dem deutschen Expansionsstreben entgegenzutreten.

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