Kotau vorm Kapital

„Junge Welt“, 12.05.2007
Chinas Regierung verwässert Arbeitsrechtsgesetz nach massiven Interventionen US-amerikanischer und europäischer Konzerne

Siehe auch „Kapitale Ängste“

Laut einem Bericht der US-Zeitung Wall Street Journal (WSJ) vom 7. Mai steht das seit über eineinhalb Jahren kontrovers debattierte chinesische Arbeitsrechtsgesetz kurz vor der Verabschiedung durch den Nationalen Volkskongreß. Schon im kommenden Jahr soll das umfassende Gesetzwerk in Kraft treten und die über zehn Jahre alten, fragmentarischen und regional unterschiedlichen Regelungen für ganz China bindend ersetzen. Als ein absolutes Novum in der chinesischen Rechtsgeschichte galt die öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfes, während der nach offizielle Angaben über 200000 Kommentare – zumeist von Arbeitern und Gewerkschaftsaktivisten – bei den entsprechenden staatlichen Stellen eingingen.

Der im Dezember 2005 präsentierte Gesetzentwurf sah einen massiven Ausbau der Rechte von abhängig Beschäftigten vor. Neben einem besseren Kündigungsschutz vor allem für ältere Arbeiter, dem Verbot von immer wieder »verlängerten« kurzfristigen Anstellungsverhältnissen und der Verpflichtung, jedwede Lohnarbeit nur mit rechtsgültigen Arbeitsverträgen auszuführen zu lassen, war es vor allem die Stärkung der Rolle von Gewerkschaften, die besonders bei europäischen und US-amerikanischen Konzernen für Unruhe sorgte. So gingen in den »Diskussionsprozeß« um das neue Arbeitsrecht auch einige Beiträge von Kapitalvertretern ein.

Der damalige Präsident des Europäischen Handelskammer in China, Serge Janssens de Varebeke, gab zu bedenken, daß die »strikten Regularien« die Produktionskosten in die Höhe treiben würden und somit »die ausländischen Unternehmen zwingen würden, ihre neuen Investitionen und Aktivitäten in China zu überdenken«, so Varebeke in einem Schreiben an den Volkskongreß. Keyong Wu von der britischen Handelskammer nannte in einem Schreiben auch schon entsprechende Destinationen für Betriebsverlagerungen: »…die Unternehmen könnten sich Ländern wie Indien, Pakistan oder Südostasien zuwenden.«

Zudem haben der Nichtregierungsorganisation Global Labor Strategies (GLS) zufolge die Lobbyorganisationen des westlichen Kapitals, wie die European Chamber of Commerce oder das US-China Business Council massiv hinter den Kulissen auf die Gesetzgebung eingewirkt. Die von amerikanischen Gewerkschaftsveteranen gegründete GLS berichtete Anfang April, daß der Druck der Multis seine Wirkung nicht verfehlt habe. In einem neuen, im Dezember 2006 veröffentlichten Gesetzentwurf sind viele der in der ursprünglichen Gesetzesfassung vorgesehenen Arbeiterrechte nicht mehr zu finden. Vor allem wurde die Stellung der Gewerkschaften innerhalb der Betriebe entscheidend geschwächt. Unternehmer sollen sie nur noch »konsultieren« müssen, wenn sie »Änderungen der Arbeitsplatzregeln« vornehmen wollen, wie das WSJ feststellt. Zuvor hatte es geheißen, daß Einverständnis vonnöten sei. Zudem konnte die Kapitallobby Änderungen zu ihren Gunsten bei der Dauer der Probezeit, den Modalitäten von Massenentlassungen, den Zeitverträgen und den Regeln für kollektive Lohnverhandlungen durchdrücken.

»Der neue Gesetzentwurf mindert die Schutzvorkehrungen für Arbeiter und beschneidet die Rolle der Gewerkschaften«, so ein von GLS zitierter Unternehmensanwalt. Gegenüber dem WSJ gab sich auch die »American Chamber of Commerce« in China durchaus zufrieden. Der zweite Gesetzentwurf berücksichtige drei Viertel der Änderungswünsche, die man im April 2006 erhoben habe. Dennoch sei man besorgt, daß der aktuelle Gesetzentwurf die Kosten der Unternehmer erhöhe, gab die Lobbyorganisation zu bedenken. Wie GLS berichtet, starteten Lobbyverbände deshalb eine erneute Attacke auf die progressiven Überreste des Gesetzentwurfs. Das US-China Business Council wandte sich erneut an die chinesische Regierung, da einige der neuen Regelungen »beschwerlich« und »produktivitätshemmend« seien. Immerhin sollen laut dem zweiten Gesetzentwurf noch alle Arbeitsverhältnisse per rechtsgültigen Vertrag abgeschlossen werden und z. B. langjährig Beschäftigte bei Entlassungen Ausgleichszahlungen erhalten.

Um noch zumindest diese fortschrittlichen Überbleibsel des Arbeitsrechts zu retten, fuhr einer der »Väter« der ursprünglichen Arbeitsrechtsfassung nach Washington, um mit demokratischen Kongreßabgeordneten und US-Gewerkschaften Gegenmaßnahmen zu beraten. Über 30 Parlamentarier haben die US-Administration aufgefordert, das neue chinesische Arbeitsrecht öffentlich zu begrüßen und die Versuche einiger Konzerne, dieses weiter aufzuweichen, zu verurteilen. Die US-Gewerkschaft »United Steelworkers« startete zudem eine gegen die American Chamber of Commerce in China gerichtete Kampagne, in der die Lobbyisten als Lohndrücker und Ausbeuter gebrandmarkt werden.

Inzwischen scheint der Druck aus den USA – die ein riesiges Handelsdefizit mit China aufweisen – erste Erfolge zu zeitigen. Ausgerechnet der wegen seiner rücksichtslosen Praktiken verschrieene Konzern Nike gab scheinbar nach: »Nike hat eine lange Geschichte der aktiven Unterstützung chinesischer Anstrengungen zur Stärkung des Arbeitsrechts und der Arbeiterrechte«, so der an Realsatire grenzende Kommentar von Nike-Vizepräsidentin Hannah Jones. Doch entscheidend wird letztlich sein, was in dem Gesetz drinsteht.

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