US-Abwehr unerwünscht

„Junge Welt“, 07.05.2007
Nein zu Washingtons Raketenschild und Militarisierung in Europa: Prager Konferenz im Schatten eines neuen »Kalten Krieges« mit Rußland

Unter dem Motto »Initiativen gegen Militarisierung – Nein zu NATO und US-Militärbasen in Europa!« fand am Samstag in der tschechischen Hauptstadt Prag eine Konferenz statt, an der mehrere hundert Aktivisten aus neun Ländern und 14 verschiedenen friedenspolitischen Initiativen teilnahmen. Organisiert wurde die Versammlung vom PDS-nahen Mittelosteuropa-Netzwerk lavka.info und dem tschechischen Bündnis »Ne zakladnam«, das mit breiter öffentlicher Unterstützung gegen die Errichtung einer US-amerikanischen »Raketenabwehr« in Tschechien kämpft.
Viel Erfahrung
Naturgemäß standen die durch den Raketenschutzschild ausgelösten internationalen Spannungen im Zentrum des analytischen Teil der Konferenz. So betonte der linke Europaabgeordnete Tobias Pflüger, daß die im Rahmen der »National Missile Defense« der USA in Polen geplanten Raketensilos wie auch die tschechische Radarsta­tion Teil einer umfassenden militaristischen Strategie seinen. Doch auch der Widerstand gegen diese militaristische Politik könne inzwischen auf »große Erfahrungen« zurückblicken. Pflüger nannte in diesem Zusammenhang die Proteste gegen die Errichtung einer Radarstation der NATO im ungarischen Pesc, den massiven Widerstand gegen die Erweiterung einer US-Militärbasis im italienischen Vincenca und die antimilitaristischen Aktivitäten, die gegen die Umstrukturierung des Flughafens Leipzig/Halle zu einem Drehkreuz für Militärnachschub für die Kriege im Irak und Afghanistan gerichtet sind.

Nach Ansicht der Konferenzteilnehmer sind nicht nur die USA für die massive Verschlechterung der internationalen Sicherheitsstruktur verantwortlich. Die Mitinitiatorin der Konferenz, Juliane Nagel von der Linkspartei.PDS Sachsen, mahnte, nicht dem Mythos eines »friedlichen Europa« zu erliegen und die USA als »alleinigen Aggressor« darzustellen. Allein die in der – zur Zeit auf Eis gelegten – EU-Verfassung vorgesehenen »Battlegroups« seien nicht gerade Vorboten einer »Friedensmacht Europa«, bekräftigte sie gegenüber junge Welt. Man müsse vor allem für eine allumfasende, globale Abrüstung kämpfen, so das Resümee Nagels.

Als eine wichtige Intention der Konferenz bezeichnete Nagel die Bestandsaufnahme der europäischen Militärstandorte sowie des Widerstandes gegen diese. Doch den Konferenzteilnehmern ging es nicht nur um Diskussionen und Erfahrungsaustausch. Der Aufbau einer internationalen, antimilitaristschen Organisationsstruktur stand ebenfalls auf der Agenda. Die Teilnehmer vereinbarten, bei friedenspolitischen Aktionen international koordiniert vorzugehen. So sollen die tschechischen Aktivisten bei ihrer für den 26. Mai geplanten Großdemonstration ebenso unterstützt werden wie die polnischen »Jungen Sozialisten«, die ab dem 9. Mai eine großangelegte Unterschriftensammlung für ein Referendum über die Raketenabwehr starten wollen. Zudem wurde ein regelmäßiges, jährliches Treffen der beteiligten Gruppen und Organisationen vereinbart.
Große Resonanz
Die lebhafte Antmosphäre auf der Konferenz und die vorherrschende Aufbruchsstimmung charakterisierte der im Bündnis »Ne zakladnam« engagierte Thomas Franke im Gespräch mit junge Welt. Die Westeuropäer seien von der Aktivität und breiten öffentlichen Resonanz der tschechischen Bewegung gegen die Raketenbasis sichtlich überrascht gewesen. Vor allem habe es das Bündnis geschafft, der überwältigenden Ablehnung der Raketenbasis in Tschechien einen sichtbaren, politischen Ausdruck zu verleihen, erklärte Franke.

Die von der Konferenz verabschiedete »Prager Erklärung« kritisiert die derzeit an Dynamik gewinnende militaristische Tendenz in der Politik des Westens und ruft zu einer Intensivierung des friedenspolitischen Engagements auf. Tatsächlich scheint das Treffen am Vorabend eines neuen »Kalten Krieges« stattgefunden zu haben. Mit diesem Begriff bedachte zumindest der Direktor des Moskauer Instituts für USA und Kanada, Sergej Rogow, die jüngste diplomatische Eskalation zwischen Rußland und dem Westen. Gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Novosti erläuterte Rogow die Unterschiede der aktuellen Auseinandersetzung zum »Kalten Krieg« im Rahmen der Systemkonkurrenz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Gegenstand der Rivalität sei laut Rogow nun nicht mehr »die Ideologie«. Es geht heute nicht um den Kampf verschiedener Gesellschaftssysteme, sondern um »Einflußsphären im postsowjetischen Raum«. Neben den Auseinanderetzungen um die US-Raketenabwehr ist inzwischen auch die Krise zwischen Estland und Rußland zu einem Streitthema avanciert. Die NATO verurteilte die russische Kritik an dem Abriß eines antifaschistischen sowjetischen Ehrenmals in Tallinn als eine »Einmischung in die inneren Angelegenheiten Estlands.«

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