Druck auf Polen

„junge Welt“, 13.02.06
Berlin lehnt klare Distanzierung von Entschädigungsforderungen der »Preußischen Treuhand« gegen Warschau weiter ab

Jüngste Äußerungen polnischer Spitzenpolitiker lassen kein Ende der Spannungen in den bilateralen Beziehungen des Landes zu Deutschland erwarten. Premier Jaros­law Kaczynski warf der deutschen Politik in einem Interview mit der polnischen Springer-Zeitung Dziennik vor, weiterhin Ansprüche auf die Westgebiete des östlichen Nachbarn zu erheben und Geschichtsrevisionismus zu betreiben. »Ist es Polen, das nicht das geltende Eigentumsrecht auf einem Drittel des deutschen Staatsgebietes akzeptieren will? Will Polen die Geschichte umschreiben, um einen Teil der Verantwortung von den Tätern auf die Opfer abzuwälzen?« So die rhetorischen Fragen des polnischen Premiers, als er über die Ursachen der schlechten Beziehungen zu Berlin befragt wurde.

In einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschuldigte die polnische Außenministerin Anna Fotyga deutsche Behörden, gegenüber der polnischen Minderheit in Deutschland eine »Assimilierungspolitik« zu betreiben. Laut Fotyga sei die Lage der polnischen Diaspora in keinem Land der Europäischen Union so schwierig wie in Deutschland. Die Außenministerin forderte, die polnischstämmige Bevölkerung Deutschlands als Minderheit anzuerkennen und ihr die entsprechenden Rechte zuzugestehen. Nach Ansicht Fotygas verstößt Deutschland gegen den deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag von 1991, in dem sowohl der deutschen Minderheit in Polen wie auch der polnischen Minderheit in Deutschland umfangreiche Sonderrechte zugebilligt wurden. Die derzeitige Situation werde laut Fotyga dem im Vertrag festgeschriebenen Prinzip der Gegenseitigkeit nicht gerecht.

Diese verschärfte Gangart in der Rhetorik der polnischen Diplomatie spiegelt die Frustration Warschaus wegen der Reaktion der Bundesregierung auf private Entschädigungsforderungen wider, die in der »Preußischen Treuhand« organisierte deutsche »Vertriebene« gegen die Republik Polen erheben. Bei einem Kurzbesuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier am 31.Januar in Warschau forderte Fotyga während der abschließenden Pressekonferenz die deutsche Seite erneut auf, die Forderungen der »Preußischen Treuhand« in einem völkerrechtlich verbindlichen bilateralen Vertrag zurückzuweisen. Steinmeier ignorierte diesen Vorschlag in seiner Antwort und betonte nur, daß sich die »deutsche Haltung« in dieser Frage nicht geändert habe.

Laut der linken Nachrichtenagentur german-foreign-policy.com hat diese »deutsche Haltung« durchaus System, da so die in Polen entstehende Rechtsunsicherheit als Folge deutscher Außenpolitik hervorragende Ansatzpunkte für politische Erpressungs- oder Kompensationsmanöver biete.

Die offizielle Berliner Politik bleibt ihrer Linie des partiellen Ignorierens polnischer Einwände treu und kommentiert auch die jüngsten scharfen Äußerungen Kaczynskis und Fotygas nicht. Die Pöbeleien Richtung Warschau überläßt man hierzulande der sogenannten vierten Gewalt. Die deutsche Springer-Zeitung Die Welt warf den Kaczynski-Zwillingen vor, sich einer »Politik wie im Kommunismus« zu bedienen und ein autoritäres Regiment zu führen, in dem »Gnade als Schwäche gilt«. Die Märkische Allgemeine meint hingegen, »deutsche Schuldgefühle gegenüber Polen« geortet zu haben, die Polens Premier Kaczynski ausnutzen will. »Grenzen zeigen«, so überschrieb der Tagesspiegel seinen reißerischen Kommentar vom 8. Februar, in dem er die deutsche Regierung zu einem entschiedeneren Vorgehen gegenüber Polen aufforderte. Bleibt die Frage, wo die deutsche Pressekompanie den Polen die Grenzen zeigen will – bei Gleiwitz?

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