Ukraine im Privatisierungsrausch

„junge Welt“ vom 11.12.06
Über 500 Staatsunternehmen sollen verscherbelt werden. Knappe Parlamentsmehrheit für entsprechende Gesetze

Die bislang größte Privatisierungsoffensive der zur Zeit regierenden prorussischen Koalition ist im ukrainischen Parlament auf heftigen Widerstand gestoßen. Am vergangenen Mittwoch ist das entsprechende Gesetzespaket, das die Privatisierung etlicher strategisch bedeutender Betriebe vorsieht, nur mit einer knappen Mehrheit von 226 aus 450 möglichen Stimmen angenommen worden. Die ukrainischen Kommunisten, die eigentlich Teil der Reigerungskoalition sind, äußerten grundsätzliche Bedenken gegenüber dieser Privatisierungskampagne. Bei der prowestlichen Oppositionspartei der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko scheint man hingegen nur mit der Form der Privatisierung nicht einverstanden zu sein.

In einer Erklärung des »Block Julia Timoschenko« wurde die aktuelle Privatisierungswelle mit den wilden Privatisierungen der frühen 90er Jahre gleichgesetzt. Durch die Aufnahme einer beispiellosen Anzahl von Unternehmen in das Gesetz habe die von Premier Viktor Janukowitsch geführte Koalition den »Weg zur Kriminalität« beschritten, hieß es in der Erklärung, da die »Mega-Liste« an Privatisierungsobjekten etliche Schlupflöcher für undurchsichtige Privatisierungsdeals offenlasse. Während ihrer Rgierungszeit bis zum September 2005 war Timoschenko bestrebt, die wilden Privatisierungen der Kutschma-Ära zu revidieren, das wichtigste dieser renationalisierten Unternehmen war das Kryworistal-Stahlwerk, das später für 4,8 Milliarden US-Dollar an Mittal-Steel verkauft wurde.

Die Ausmaße der aktuell angestrebten Privatisierungswelle sind tatsächlich nicht bescheiden. Laut dem verabschiedeten Gesetzeswerk sollen 2007 ganze 595 Unternehmen privatisiert werden und dem Haushalt des Landes geschätzte Mehreinnahmen von mindestens ca. zwei Milliarden US-Dollar einbringen. Laut einer Schätzung der Tageszeitung Ukrainska Prawda würde der Verkauf aller Objekte zu »Marktpreisen« sogar bis zu fünf Milliarden US-Dollar in die Staatskassen spülen. Diese Einnahmen sollen größtenteils in den defizitären Haushalt 2007 der Ukraine fließen, der ebenfalls am Mittwoch vom Parlament verabschiedet wurde. Von den geplanten Haushaltsausgaben von umgerechnet 29,1 Milliarden US-Dollar sind nur 78 Prozent durch Einnahmen gedeckt, der Fehlbetrag soll durch Privatisierungerlöse und andere »spezielle Einnahmen« gedeckt werden.

Das wichtigste und auch politisch umstrittendste Privatisierungsobjekt ist der ukrainische Telekommunikationskonzern Ukrtelekom, an dem der ukrainische Staat gegenwärtig noch zu über 90 Prozent beteiligt ist. Hier sollen weitere Minderheitsanteile veräußert werden und ca. eine Milliarde US-Dollar einbringen. Sowohl Premier Janukowitsch, als auch Präsident Juschtschenko unterstützen diese Aktienverkäufe. Zum Verkauf steht im nächsten Jahr auch der größte Düngemittelhersteller der südlichen Ukraine, die Chemiefabrik »Odesski Priportowy Zawod«. Auf besondere Ablehnung in der Bevölkerung stößt die geplante Privatisierung von Teilen der Ukrainischen Energieversorgung. Etliche regionale Elektrizitätswerke und Energieversorger befinden sich auf der Privatisierungsliste, und deren Verkauf wird nach Ansicht von Beobachtern zu breiten Protesten führen, da die ukrainische Bevölkerung derzeit noch relativ günstige Strompreise zahlt.

Zudem stehen etliche Schiffswerften und Verlagshäuser, der Flughafen von Lviv und die nationale Fluggesellschaft zum Verkauf. Für weitere Auseinandersetzungen dürften aber die Pläne der Regierung sorgen, Teile des Bergbausektors – von ganzen Bergbauunternehmen, bis zu einzelnen Zechen – zu privatisieren. Die ukrainischen Bergmänner haben den höchsten Organisierungsgrad innerhalb der Arbeiterschaft des Landes. Bisher stießen alle Versuche, eine Teilprivatisierung im diesem Sektor durchzuführen, auf den erbitterten Widerstand der Kumpel.

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