Programmierte Konflikte

„Junge Welt“, 11.01.2009
Eskalation jederzeit möglich: Moskau, Minsk und Kiew in Dauerfehde um Öl- und Gaspreise, Transitgebühren sowie Zölle

Die alljährlich wiederkehrenden Spannungen zwischen dem »Energieimperium« Rußland und klammen postsowjetischen Staaten scheinen sich zu einer festen Begleiterscheinung der kalten Jahreszeit in Osteuropa zu entwickeln. Diesmal schreckte eine am 3. Januar von der Nachrichtenagentur Reuters verbreitete Meldung die BRD-Öffentlichkeit auf, derzufolge Rußland zu Jahresbeginn jegliche Öllieferungen nach Belarus eingestellt habe. Es schien eine Wiederholung der mehrtägigen Lieferengpässe wie Anfang 2007 wegen eines ähnlichen Streitfalls zwischen Minsk und Moskau zu drohen. Im vergangenen Winter waren es Streitereien um den Gaspreis zwischen der Ukraine und Rußland, die in weiten Teilen Osteuropas zu ernsthaften Versorgungsausfällen führten.

Das russische Dementi folgte noch am Meldungstag: »Der Öltransit durch Belorußland wird unter keinen Umständen verringert«, erklärte der Vizepräsident des Pipelinebetreibers Transneft, Michail Barkow: »Was die Lieferungen an Belorußland anbetrifft, so hängt hier alles von der Position Minsks ab.« Der Öltransport in das westliche Nachbarland der Russischen Föderation erfolge im »vollen Umfang«, da die Verhandlungen weitergeführt würden, hieß es am selben Tag aus dem russischen Energieministerium. Beide Staaten konnten sich bis Jahresende – wieder einmal – nicht über Importzölle und den Preis einigen, den Minsk 2010 für russisches Öl zahlen soll.

Die Frage, wie lange durch die Ölpipeline »Drushba« (Freundschaft), die durch Belarus verläuft, noch russisches Erdöl geleitet wird, das 15 Prozent des deutschen und 75 Prozent des polnischen Bedarfs deckt, stellt sich dennoch. Trotz der offiziellen Beschwichtigungen tobt der Kampf um Preise und Transitgebühren zwischen den einstigen Bruderstaaten weiter und wird mit harten Bandagen geführt. Auch bei erneuten Verhandlungen am 6. und 7. Januar in Moskau konnte keine Übereinkunft erreicht werden. Am Freitag gingen die Gespräche in eine neue Runde. Im Kern geht es um eine neue Forderung Moskaus, laut der künftig die vollen Zollgebühren für all das Rohöl zu zahlen sind, das in weißrussischen Raffinerien weiterverarbeitet und in den Westen veräußert wird. Die Führung in Minsk fordert hingegen volle Steuerfreiheit.

Das Wall Street Journal geht davon aus, daß die Abgabenerhöhung für Belarus mit Mehrausgaben von umgerechnet fünf Milliarden US-Dollar verbunden wäre, etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Neben den 37 Millionen Tonnen Petroleum, die durch die Erdölleitung »Freundschaft« gen Westen fließen, befördert Europas größte Pipeline jährlich zusätzliche 21,5 Millionen Tonnen, die in belarussischen Raffinerien weiterverarbeitet werden. Trotz massiv angehobener Preise lohnt es sich aufgrund der niedrigeren russischen Importzölle für Belarus immer noch, einen Teil seines zuvor aus Osten eingeführten Öls zu exportieren. Das Land ist auf diese Einnahmen angewiesen und mußte bereits mehrmals milliardenschwere Kredite in Rußland und beim Internationalen Währungsfonds aufnehmen, um sein Haushaltsdefizit zu decken. Aufgrund beständig steigender Energiepreise registrierte man beispielsweise 2008 ein Handelsdefizit mit Rußland von umgerechnet 6,2 Milliarden US-Dollar.

Inzwischen hat die belorussische Führung mit Gegenmaßnahmen gedroht, sollte Moskau weiterhin bei seiner Forderung nach 100prozentigen Importzöllen bleiben. So drohte Minsk mit einer Verzehnfachung der Transitgebühren auf 45 US-Dollar pro Tonne für das nach Polen und Deutschland fließende Rohöl. Zudem wolle man der russischen Exklave Kaliningrad notfalls den Strom abstellen. Am vergangenen Montag erklärte der weißrussische Stromversorger ODU, daß die Konditionen für den Stromtransit nach Kaliningrad »nicht abgestimmt« seien: »Dieses Vorgehen der russischen Seite« zwinge Minsk, sich »Schritte zur Einstellung der nicht genehmigten kommerziellen Stromübertragung über die Netze des belorussischen Energiesystems zu überlegen«. Dies könne »die Zuverlässigkeit der Energieversorgung der Abnehmer im Gebiet Kaliningrad, unter anderem der Bevölkerung des Gebiets, gefährden«, zitierte die Moskauer Nachrichtenagentur RIA-Nowosti aus der ODU-Erklärung.

Nahezu reibungslos verlief – trotz aller Sabotagebemühungen – der Start ins neue Jahr bei den russisch-ukrainischen Beziehungen. In einem verzweifelten, aber durchsichtigen Wahlkampfmanöver warnte der Präsident Viktor Juschtschenko Anfang voriger Woche, daß der ukrainische Energieversorger Naftogas die sich auf umgerechnet 630 Millionen Euro belaufende Gasrechnung für Dezember nicht begleichen könne. Der unter rapide schwindenden Popularitätswerten leidende Staatschef machte hierfür Ministerpräsidentin Julia Timoschenko verantwortlich, die als eine aussichtsreiche Kandidatin bei der Wahl am 17. Januar gilt. Trotz eines drohenden Staatsbankrotts schaffte es Timoschenko innerhalb kürzester Zeit, die geforderte Summe bereitzustellen. Am Donnerstag konnte Gasprom aus Moskau melden, daß der gesamte ausstehende Betrag überwiesen worden sei. Dennoch dürfte es sich hierbei nur um einen Aufschub in einer anstehenden energiepolitischen Auseinandersetzung zwischen Kiew und Moskau handeln. Nach den Wahlen könnte die katastrophale Finanzlage der Ukraine zu weiteren winterlichen Brennstoffkrisen in Osteuropa führen.

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