Angeschlagener Riese

„Junge Welt“, 02.01.2010
Der russische Energiekonzern Gasprom kämpft mit sinkender Nachfrage und Preiseinbrüchen. Kooperation mit China angestrebt

Die Weltwirtschaftskrise verdirbt inzwischen selbst den berüchtigten Partylöwen in den Chefetagen des russischen Gasmonopolisten Gasprom die Feierlaune. Während im Februar 2008 Musikstars wie Tina Turner und Deep Purple die Chefriege des Energiemultis im Beisein von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew unterhielten, kündigte nun der stellvertretende Ministerpräsident Wiktor Subkow am 25. Dezember an, daß jegliche Feierlichkeiten anläßlich des Firmenjubiläums im kommenden Februar gestrichen würden. Auch die Auszahlung von Dividenden würde auf einem ähnlich niedrigen Niveau verbleiben wie 2008, als nur fünf Prozent des Unternehmensgewinns ausgeschüttet wurden, erklärte Subkow. Während des Rohstoff- und Energiebooms der vorhergehenden Jahre zahlte Gasprom für gewöhnlich 17,5 Prozent seiner Gewinne als Dividenden aus.

Dieser strikte Sparkurs resultiert aus den enormen ökonomischen Verwerfungen, denen Rußlands führendes Energieunternehmen aufgrund der Weltwirtschaftskrise ausgesetzt ist. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sank der Ertrag des russischen Gasmonopolisten um 56 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf nur noch 6,4 Milliarden US-Dollar. Dieser Gewinneinbruch hat sich in den letzten Monaten verstärkt, da in der ersten Jahreshälfte 2009 Gasproms Profite im Jahresvergleich »nur« um 48 Prozent einbrachen – während die Unternehmensverschuldung um 31 Prozent anstieg. Der ökonomische Rückschlag wird auch an dem Börsenwert des Unternehmens ersichtlich. Von 344 Milliarden US-Dollar im Juni 2008, als Gasprom hinter Exxon Mobil und PetroChina als weltweit drittgrößtes Unternehmen gehandelt wurde, sank die Marktkapitalisierung auf gegenwärtig 144 Milliarden US-Dollar.

Der mit der Weltwirtschaftskrise einhergehende Einbruch bei der Nachfrage und den Preisen für Energieträger trug maßgeblich zu dieser krisenhaften Entwicklung bei. Vor allem Westeuropa hat die russischen Gasimporte bereits um etwa 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas reduziert, was zu Spannungen zwischen Gasprom und besonders Deutschland und Italien führte, die für einen Großteil dieser russischen Exportausfälle verantwortlich sind. Auch die Türkei verringerte ihre russischen Gasimporte im ersten Halbjahr 2009 um 25 Prozent. Rund 2,5 Milliarden US-Dollar an Einnahmen gingen Gasprom hierdurch in den letzten Monaten verloren.

Bei den Streitereien zwischen Gasprom und seinen europäischen Partnern wie E.on und Eni besteht die russische Seite auf der Einhaltung der langfristigen Lieferverträge, die Strafzahlungen vorsehen, sobald die vereinbarten Liefermengen von den Europäern nicht tatsächlich importiert werden. Etliche europäische Energieunternehmen verlangen von Moskau hingegen ein ähnlich kulantes Vorgehen, wie es im Falle der am Rande des Staatsbankrotts taumelnden Ukraine an den Tag gelegt wurde, als Wladimir Putin bei einem Treffen mit seiner ukrainischen Amtskollegin Julia Timoschenko auf jedwede Strafzahlungen verzichtete, obwohl ihr Land die vertraglich festgelegten Abnahmemengen unterschritt. Außerdem verweisen die Europäer gerne darauf, daß Rußland selber seine Abnahmeverpflichtung gegenüber Turkmenistan nicht erfülle.

Neben den Konflikten mit seinen westeuropäischen Abnehmern sind es auch die Spannungen im rohstoffreichen Zentralasien, die für Unruhe im Kreml und in Gasproms Chefetagen sorgen. Nur wenige Tage, nachdem der chinesische Präsident Hu Jintao im Beisein seiner zentralasiatischen Amtskollegen eine chinesische Gaspipeline einweihte, die bis zu 40 Milliarden Kubikmeter turkmenischen Erdgases jährlich ins boomende Reich der Mitte befördern wird (siehe jW vom 19.12.2009), machte auch Dmitri Medwedew dem turkmenischen Staatschef Gurbanguly Berdimuhamedow seine Aufwartung. Bei der Visite am 22. Dezember kamen beide Seiten überein, die seit einer Pipelineexplosion ausgesetzten Gaslieferungen ab dem 1. Januar auf Grundlage eines neuen Vertrages wieder aufzunehmen. Anstatt der 50 Milliarden Kubikmeter, die vor der Unterbrechung der turkmenischen Gasexporte im April vertraglich vereinbart waren, wird Rußland künftig nur noch 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas importieren. Somit hat Moskau klar sein Transportmonopol bei dem größten Erdgasproduzenten Zentralasien verloren, da künftig Peking der größte Abnehmer turkmenischen Erdgases sein wird. Zudem wird künftig der Iran jährlich 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan beziehen.

Der Einbruch Chinas in diesen postsowjetischen Raum, der als Rußlands Interessensphäre gilt, wird aber vom Kreml nicht mit derselben Feindseligkeit und Skepsis betrachtet wie die Bemühungen des Westens, in Zentralasien Fuß zu fassen. Schließlich gehen russische Geopolitiker nicht davon aus, daß Peking analog zum Westen bemüht sein könnte, Rußland einzukreisen. Statt dessen versucht Moskau durch einen Ausbau der energiepolitischen Kooperation mit China die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das russische Energieimperium zu mindern. Am 28. Dezember meldete die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti, daß Gasprom und der chinesische Energiekonzern CNPC ein Rahmenabkommen über Gaslieferungen ins Reich der Mitte abgeschlossen hätten. Die Lieferbedingungen sollen bereits im ersten Quartal 2010 ausgehandelt werden. Bis zu 70 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases aus Ostsibirien und dem Festlandsockel der Sachalin-Insel könnten ab 2015 durch zwei neue Pipelines in Richtung China fließen. Diese Diversifizierung der Exporte würde nach Ansicht von Beobachtern Gasprom mehr Möglichkeiten einräumen, bei künftigen Überangebotskrisen flexibel reagieren zu können.

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